Die Familie Lackum und ihre Beziehung zum Opfer
von Anette Johanna Malejka
Die Familie Lackum
Die Familie Lackum bestand um 1590 aus dem etwa siebzigjährigen Georg Lackum, seiner Frau Agnes, deren Söhnen Anton und Dietrich Lackum und einer Tochter namens Christina. Georg und Anton Lackum wurden als Hauptverdächtige des Mordes an Johann von der Ruhr verhaftet. Georg Lackum wurde anschließend hingerichtet, Anton Lackum starb in der Haft. Die Hinterbliebenen führten schließlich vor dem Reichskammergericht jenen Prozess, dessen schriftliche Aufzeichnungen uns über den Mordfall in Wetter informieren.
Die Tatverdächtigen Georg und Anton Lackum
Was lässt sich anhand der Akte des Reichskammergerichts über die Tatverdächtigen Georg und Anton Lackum sagen? Geht man chronologisch vor, so wird zuerst aus der Akte ersichtlich, dass Georg Lackum bei der Bergung des toten Johann auf der Ruhr Ende Mai 1590 beteiligt war. Dass dies erwähnt wurde, sollte den Richtern deutlich machen, dass Georg Lackum ein barmherziger Mensch war. Es gab jedoch einen weiteren Grund: Georg Lackum war ein naher Verwandter des Opfers. Johann auf der Ruhr war der Sohn seiner Schwester.1
Georg Lackum wurde dann, bedingt durch die Anschuldigungen des Fährmanns zu Wetter, Jasper von der Ruhr, zum Hauptverdächtigen. Trotz einer unklaren Beweislage und widersprüchlicher Zeugenaussagen wurde Georg mit seinem Sohn Anton in das Gefängnis zu Wetter gesetzt, nachdem ein vermeintliches Motiv zutage getreten war:2 Zwischen den Tatverdächtigen und dem Opfer bestanden Erbschaftsstreitigkeiten. Georg Lackum sollte, Gerüchten zufolge, das rechtmäßige Erbe des Johann auf der Ruhr an sich gebracht haben. Diese Streitigkeiten hatten zur Feindschaft und zu gegenseitigen Drohungen geführt. Georg Lackum und sein Sohn Anton sollten Johann von der Ruhr zudem ein halbes Jahr vor der Tat in einem Streit um 16 Dortmundische Schillinge misshandelt haben.3
In den Prozeßschriften der Familie Lackum wurden den beiden Familienmitgliedern dagegen durchweg positive Attribute zugeteilt. Georg war demzufolge ein frommer Mann, der schon lange in Wetter wohnhaft und den Bewohnern vertraut geworden war: Den Armen, Witwen und Waisen sollte er Gutes getan und Vormundschaften verwaltet haben. In der Kirche zu Wetter habe er einen „almußen casten“, eine Almosenkasse, finanziell ausgestattet, mit der die Bestattungen armer Bewohner der Freiheit Wetters finanziert worden waren.4
Nicht nur an diesen Aussagen zeigt sich, dass Georg Lackum zu den reicheren Bewohnern der Freiheit Wetter gehörte. Er unterhielt einen Kramladen. In der Akte wird erwähnt, daß man dort u.a. Stockfisch kaufen konnte. Zuweilen hatte er Johann von der Ruhr damit beauftragt, ihm von seinen Reisen Waren mitzubringen, wie etwa Seife aus Dortmund.5 Darüber hinaus hatte Georg Lackum Grundbesitz im Umkreis von Wetter. Zusammen mit seinem Sohn Anton Lackum trieb er gelegentlich Pachtrückstände ein.
Durch die Beschreibung von Anton Lackum wird zudem deutlich, dass es sich bei der Familie Lackum um eine sehr christliche Familie handelte. Anton Lackum gehörte dem geistlichen Stand an und hatte bereits die Priesterweihe zu Köln empfangen. Wir können daraus folgern, dass die Familie katholisch war und damit eine Minderheit in einem protestantischen Umfeld darstellte.6
Die Hinterbliebenen der Familie Lackum
Nicht nur die Tatverdächtigen Georg und Anton Lackum spielten in diesem Fall eine zentrale Rolle, sondern auch ihre Hinterbliebenen Agnes und Dietrich Lackum. Nachdem Georg und Anton Lackum des Mordes bezichtigt worden waren, traten die restlichen Familienmitglieder in das Geschehen ein.
Die Witwe Agnes und ihr Sohn Dietrich versuchten zunächst, beim Richter zu Wetter ein weiteres Zeugenverhör zu veranlassen und die Tatverdächtigen gegen eine Kaution aus der Haft zu entlassen, da sie mit dem Prozedere des Drosten nicht einverstanden waren. Die Durchführung dieses Zeugenverhörs und die Behauptung, dass die Zeugen Lisa Voß und Adrian Pierschutt, die in einem vorherigen Verhör Georg und Anton Lackum belastet hatten, einen schlechten Leumund besäßen und somit untaugliche Zeugen seien, änderte an der Situation der Tatverdächtigen nichts.7
Aus diesem Grund wandten sich Agnes und Dietrich, sowie andere Nachbarn, Adelige und Kleriker, durch Supplikationen und Fürbitten an höhere Instanzen. Sie versprachen sich dadurch eine Umwandlung der Strafe in eine „poena arbitaria“, eine willkürliche Strafe, die nach richterlichem Ermessen festgesetzt werden sollte und erhofften sich durch den guten Namen der Familie eine Bestrafung über eine Geldsühne. Diese Fürbitten bewirkten jedoch nur eine Minderung der Strafe an Georg Lackum. Ihm wurde die Räderung vor der Enthauptung erspart.8
Nach der Vollstreckung der Strafe richtete sich Agnes Lackum mit ihrem Sohn Dietrich an die kleve-märkischen Räte, um die Entfernung des Leichnams ihres Mannes vom Richtplatz zu veranlassen sowie die Freilassung ihres Sohnes zu bewirken. Zu dieser Freilassung kam es jedoch nicht mehr, da ihr Sohn bereits im Januar 1592 im Gefängnis verstarb.9 Dieser Tod hatte zu Folge, dass eine Kommission neue Untersuchungen in dem Fall durchführte, die jedoch keine neuen Erkenntnisse mit sich brachten. Somit wandte sich die Familie Lackum im Oktober 1593 mit ihrer Injurienklage an das Reichskammergericht. 10
Persönliche Beziehungen zwischen den Beteiligten
Der Mordfall Lackum ist, betrachtet man die persönlichen Beziehungen zwischen Opfer und Tätern, für die damalige Zeit kein ungewöhnlicher Fall. Zwar ist überhaupt fraglich, inwieweit Georg und Anton der Tat schuldig waren. Jedoch kam es am Ende des 16. Jahrhunderts häufiger vor, daß die Täter eines Tötungsdeliktes in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Opfer standen. Anhand von 168 Tötungsfällen aus dem Fürstbistum Münster in den Jahren von 1580-1620 wurde ermittelt, dass es sich bei ca. 10% der Fälle um Tötungsdelikte innerhalb der Familie handelte. Grund dafür war ein konfliktreiches Verhältnis unter vielen Familienmitgliedern. Das geläufige Bild von einer traditionellen Familie, in der mehrere Generationen friedlich und harmonisch zusammenlebten, ist somit nicht wirklichkeitsnah.11
Vergleicht man diese Fälle mit dem Fall Lackum, so tauchen deutliche Parallelen auf. Die Tatverdächtigen Georg und Anton Lackum und das Opfer Johann waren zwar Verwandte: Georg Lackum war der Onkel des Opfers, Anton der Cousin. Es werden jedoch Spannungen und unterschiedlichen Interessen ersichtlich. Zudem: Verdächtigte und Mordopfer hatten eine höchst unterschiedliche soziale Stellung im Ort. Auch unterschied sich das Vermögen. Fazit: Der Fall Lackum macht besonders deutlich, daß Verwandtschaft in den face-to-face-Gesellschaften der Frühen Neuzeit stark durch Konflikt und Feindschaft geprägt sein konnte. Dies zeigt sich auch darin, dass ein weiterer Feind der Familie Lackum ebenfalls mit ihnen verwandt war: Lisa Voß, die Mutter des Jasper von der Ruhr, hatte eine Tochter, die die Ehefrau des Dietrich Lackum war.12
Quellenauszüge
Soziales Engagement des Georg Lackum in Wetter
Wahr zum drießigsten daß benanter Georg Lackumb ein altter betagter mahn gewesenn, sich aller erbern unnd frommigheitt befließenn, vnnd von menniglichen fur einen frommen biedermann gehalttenn wordenn.
Wahr auch, [...] daß ehr den armen auch wedwen vnnd weisen viell guittes gethann, vnnd
die armen wochentlich driemahl gespeißett, vnnd etzliche voirmundtschaftten ehrlich und woll biß in seinen sterbtagh bedienett und verwaltet.
Wahr auch daß ehr ein almußen casten zu wetter in die pfharkirch verordnett vnnd gegebenn, vnnd sunsten die arme abgestorbene christen offtmahls zur erden bestatten halffen.“ (LAV NRW W, RKG 24, Bd. 2, fol. 220v-221r)
Trotz seines katholischen Glaubens spielte Georg Lackum offensichtlich als wohlhabender Mann eine wichtige Rolle im Leben der Gemeinde Wetter. Dies wird durch seine Tätigkeit als Betreuer des Almosenwesens und weiteren sozialen Aufgaben deutlich. Offen bleibt, ob die Familie Lackum eine katholische Kirche besuchte oder am Gottesdienst in der lutherischen Kirche teilnahm. Wie spätere Quellen zum Kirchenwesen in der Grafschaft Mark zeigen, war es nicht unbedingt ungewöhnlich, daß Menschen, die sich selbst unterschiedlichen Konfessionen zuordneten, gemeinsam eine Kirche besuchten.
1 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 222r
2 Fuchs, Ralf-Peter: Recht und Unrecht im Verfahren Lackum - Ein Kriminalfall mit Widerhall, in: Andrea Griesebner, Martin Scheutz, Herwig Weigl (Hg.): Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16. - 19. Jahrhundert), Innsbruck 2002 (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 1) (im Folgenden zitiert als: Fuchs, 2002), S. 151.
3 Fuchs, 2002, S. 151.
4 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 28.
5 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 29. und Fuchs, 2002, S. 151.
6 Fuchs, 2002, S. 153.
7 Fuchs, 2002, S. 152.
8 Fuchs, 2002, S. 152
9 Fuchs, 2002, S. 152.
11 Margarete Wittke: Mord und Totschlag? Gewaltdelikte im Fürstbistum Münster. 1580 –1620. Täter, Opfer und Justiz. Münster 2002, S. 43 – 44.
12 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 346