Bitten für die Angeklagten - Supplikationen im Mordfall Lackum
von Alexander Bode
Zum Begriff Supplikation
Der Begriff der Supplikation leitet sich von dem lateinischen Verb supplicare ab, was in etwa bedeutet „flehentlich bitten“ oder „vor jemandem auf die Knie fallen.“1 Eine Supplikationsschrift ist demnach eine Bittschrift bzw. ein untertäniges Bittschreiben an den jeweiligen Landesherren.2 Dieser wurde mittels dieser Schriftstücke um eine Stellungnahme zur Anwendung von bereits erlassenen Gesetzen, Privilegien oder in einer Rechtsstreitigkeit gebeten.
Von den obrigkeitlichen Behörden oder von den Landesherren selbst wurden die Supplikationen mittels eines Reskripts, einem schriftlichen Gutachten, oder einer Dispensation, einem Erlass oder Ausnahmegenehmigung, beantwortet.3 Mit Hilfe der Schriften war es so dem Einzelnen möglich einen direkten Kontakt mit den obersten territorialstaatlichen Organen herzustellen. Man unterscheidet zwei Arten von Supplikationen: zum einen die Gnadensupplikation und zum anderen die Justizsupplikation. Bitten, die gewährt oder auch nicht gewährt wurden, konnten das Leben des Bittstellers entscheidend verändern und sein Bild zur Obrigkeit, im guten wie auch im schlechten, prägen.4
Gnadensupplikationen
Die Gnadensupplikation zielte darauf ab, dass dem Bittenden die Gnade oder Gunst des Fürsten zu teil wurde. Ein Rechtsanspruch bestand dabei nicht. Jedoch konnte, zum Beispiel bei Bitten von Waisen oder Witwen, ein moralischer Anspruch bestehen, denn die Sorge um deren Schicksal war auch stets eine Aufgabe des Herrschers. Gnadensupplikationen geben einen unmittelbaren Einblick in die Nöte der einfachen Untertanen. Besonders häufig finden wir Bitten um Hilfe in der Not, wie zum Beispiel bei Missernten, Krankheiten, im Alter, nach einem Unfall oder im Falle eines Krieges. Es ging um Unterstützung mit Lebensmitteln, etwa Getreide, oder dem Erlass von Abgaben, daneben um Gehaltsverbesserungen oder etwa eine bessere Dienststellung.
Justizsupplikationen
Justizsupplikationen waren Bittschriften, die die Justiz, das Rechtswesen oder die Verwaltung betrafen. Dabei ging es oft um Beschwerden über Organe des Territorialstaates. Dabei hatte man sich jedoch als pflichtbewusster und sein gutes Recht suchender Untertan darzustellen. Per Definition enthielten Justizsupplikationen „ein juristisch konkreter fassbares- […] singulär-subjektives Rechtsschutzverlangen.“5 Sie umfassten im wesentlichen Schuldensachen, Gesuche um Besitzstandswahrung und die Anerkennung von Rechtsverhältnissen bzw. –veränderungen, Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten, Straf- und Bußsachen, Probleme der öffentlichen Ordnung und Beschwerden über die Tätigkeit von Beamten.
Stellenwert der Supplikationen in der Frühen Neuzeit
Die Bittschriften wurden aus allen Teilen der Bevölkerung übergeben. Alle sozialen Schichten, Berufe und Stände machten von der Möglichkeit des Supplizierens gebrauch. Der preußische König Friedrich II. bestätigte im 18. Jahrhundert ausdrücklich, dass jeder seine Gesuche, Bitten und Beschwerden vorbringen dürfe. Für das 16. Jahrhundert ist festgestellt worden, dass die Zahl der Supplikationen von Menschen aus dem einfachen Volk beträchtlich war. Supplizieren war durch die gesamte frühe Neuzeit hinweg ein fester Bestandteil des alltäglichen Rechtsganges. So lautete ein altes Sprichwort „Supplizieren und Wassertrinken sind jedermann erlaubt“.6
Diese immense Beliebtheit von Supplikationen führte dazu, dass ein großer bürokratischer Aufwand betrieben werden musste, um die Flut an Bittschriften bewältigen zu können. So gab es zahlreiche Vorschriften, die eine schnellere Bearbeitung ermöglichen sollten.7
André Holenstein schreibt, dass die Beratung und Entscheidung über Supplikationen ein stark ins Gewicht fallendes Tätigkeitsfeld der obersten Regierungsbehörden in Policeysachen darstellte. Das Supplizieren der Untertanen, so wie auch das Verwaltungsdenken und -handeln der Räte und Beamten weißt immerhin auf ein praktisches Wissen im Umgang mit und bei der Nutzung und Aneignung von Gesetzen hin. So zeugte jede Bitte zunächst einmal davon, dass ein bestimmtes Gesetz oder Verbot zur Kenntnis genommen worden war, aber auch davon, dass diese oft als verhandelbare Grundsätze und nicht als zwingende Normen aufgefasst wurden.8
Anforderungen an die Supplikationen
Bei einem großen Teil der Bevölkerung handelte es sich um nichtalphabetisierte Schichten, die auf einen Schreiber oder Advokaten nicht verzichten konnten. Das Bild änderte sich jedoch zum Ende der Frühen Neuzeit. Ein breiterer Teil der potentiellen Supplikanten wurde des Schreibens mächtig. So wurde im weiteren Verlauf von den Supplikationen nicht nur Lesbarkeit, sondern auch eine Abfassung in Hochdeutsch gefordert. Ebenfalls galt es stets, die richtige Anrede- und Devotionalformel zu gebrauchen. War dies nicht der Fall, konnte der Supplikation die Annahme verweigert werden. Beim Verfassen der Bittschriften standen auch aus diesem Grunde oft Advokaten, Notare und Prokuraturen den Hilfesuchenden zur Seite, während im kirchlichen Bereich auch Pastoren, Küster und Schulmeister an der Abfassung beteiligt waren.9
Supplikationen im Fall Lackum
Über die zahlreichen Supplikationen, die die Akte Lackum enthält, können wir nachvollziehen, daß der Fall in der Region für Aufsehen und Anteilnahme sorgte. Für die beiden Angeklagten, Georg und Anton Lackum, traten unmittelbar vor der Urteilsvollstreckung über Supplikationen bzw. Gnadengesuche ein:10
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Bürgermeister, Rat und Gemeinde der Freiheit Wetter
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Die Adeligen Johann von Neheim genannt Düscher zu Rüdinghausen, Dale von Kalle zu Kalle und Hermann von Mallinckrodt
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Elf namentlich genannte Geistliche aus Wetter, Volmarstein, Hagen, Voerde und Herdecke
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Namentlich genannte katholische Geistliche aus Dortmund („Rector, Preceptoren und etzliche discipulen (Schüler) zu Dortmundt“)
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Die Untertanen des Amts Wetter (geschlossene Erklärung)
Daneben richtete Agnes Lackum zahlreiche Gnadensupplikationen an den Landesherrn, Herzog Wilhelm. In all diesen Schreiben wurde auf den guten Leumund von Georg und Anton Lackum hingewiesen, zuweilen auch auf den schlechten Leumund des Opfers. Der Landesherr wurde gebeten, von seinem Recht auf Begnadigung Gebrauch zu machen und auf eine „willkürliche Strafe“ (poena arbitraria) zu erkennen: Die in der Peinlichen Halsgerichtsordnung vorgesehene Hinrichtung sollte in eine Geldsühne umgewandelt werden.
Bürgermeister, Rat und Gemeinde der Freiheit Wetter sollten sich im Frühjahr 1593 schließlich auch für den ebenfalls der Tat Verdächtigten Jasper von der Ruhr einsetzen, der in der Burg Hörde inhaftiert war und dort gefoltert wurde. Während Dietrich Lackum versuchte, den Drosten von Hörde zur Verschärfung der Folter zu bewegen, damit die Unschuld von Georg und Anton Lackum zu Tage gebracht werde, versuchte die Gemeinde Wetter, einen Schlußstrich unter die Angelegenheit zu ziehen, und bat in einem Supplikationsschreiben um Freilassung des Jasper von der Ruhr. Nun wurde argumentiert, daß Georg und Anton Lackum den Mord an Johann von der Ruhr gestanden hatten und weitere Indizien, u.a. die Bahrprobe, deren Schuld erwiesen hätten.11
1 http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/sozialeOrdnung/staendische/glossar.htm
2 Ulbricht, Otto: Supplikationen als Ego-Dokumente. Bittschriften von Leibeigenen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Beispiel, in: Schulze, Winfried: Ego Dokumente. Annährung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996 (im Folgenden zitiert als: Ulbricht, 1996), S. 150.
3 http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/sozialeOrdnung/staendische/glossar.htm
4 Ulbricht, 1996, S. 151.
5 Ulbricht, 1996, S. 151
6 Ulbricht, 1996, S. 152.
7 Ulbricht, Otto: 1996, S. 155.
8 Holenstein, André: Die Umstände der Normen – die Normen der Umstände. Policeyordnung im kommunikativen Handeln von Verwaltung und lokaler Gesellschaft im Ancien Régime, in: Härter, Klaus: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2000, S. 19.
9 Ulbricht, 1996, S. 153-154.