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Was war die Grafschaft Mark? Die territoriale Grundlage im Fall Lackum
von Jürgen Grimm

Lage und wirtschaftliche Grundlage
Die Grafschaft Mark befand sich im niederrheinisch-westfälischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie war ein reichsunmittelbares Territorium, was bedeutete, dass die Grafen zu den Reichstagen geladen wurden, wo sie über die Reichspolitik mitbestimmen konnten und umfaßte Städte wie Soest, Hamm und Bochum.
Die Grafschaft Mark profitierte von den reichen Ackerböden, die in der Hellwegzone zwischen Lippe und Ruhr vorherrschten. Demgegenüber befanden sich in den Gebieten südlich der Ruhr zahlreiche Bäche und kleine Flüsse, während unter der Erde reiche Erzvorkommen lagen. Beides zusammen ließ, vor allem im märkischen Sauerland, eine Art von „protoindustriellem Wirtschaftsraum“ entstehen, bei dem unter Ausnutzung der Wasserkraft die Erze in zahlreichen Schmieden zu Metallwaren verarbeitet wurden.1 Außerdem profitierte die Grafschaft von ihren reichen Handelsstädten wie Soest oder Hamm. Die große Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Ackerbauern, Viehzüchtern oder ländlichen Handwerkern. Daneben lebten in den Städten und Minderstädten Bürger, die als Handwerker, Händler oder Bauern tätig waren. Die Oberschicht wurde von dem landsässigen Adel gebildet, der über großen Besitz und Privilegien verfügte.

Entstehung der Grafschaft Mark und Einbindung in die jülich-klevischen Länder
Die Grafen von Mark stammen von den Grafen von Berg ab. Die verschiedenen Zweige der Familie der Grafen von Berg hatten zahlreiche Besitzungen im Raum zwischen Rhein und Weser besessen, wie Grundherrschaften oder Wasserrechte, sowie weitere unterschiedliche Rechte, etwa Vogteien bei Kirchen und Klöstern, Gerichtsrechte, Marktrechte oder Ämter.2 Im 13. Jahrhundert sammelten die Grafen von der Mark in dem Bereich der späteren Grafschaft immer mehr Besitz und Herrschaftsrechte an, so dass sie ein geschlossenes Territorium bilden konnten. Das Verwaltungszentrum der Grafschaft Mark befand sich in Hamm. Die Grafen von der Mark wurden ab 1398 durch Heirat auch Herzöge von Kleve. Der Herrschaftssitz für beide Territorien befand sich seitdem in Kleve. Durch weitere Heiratspolitik verbanden sich schließlich ab 1521 die Herzogtümer Jülich, Berg, Kleve, sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg.

Die Verwaltung
Die Verwaltung der Grafschaft Mark war seitdem in die Verwaltung der Herzöge von Jülich-Berg-Kleve eingebunden. Sie bestand aus zwei Verwaltungsbereichen: einerseits aus dem Verwaltungsbereich Jülich-Berg und andererseits aus dem Verwaltungsbereich Kleve-Mark. In beiden Bereichen bestanden Landstände, die auf Landtagen zusammenkamen, um den Herzog zu beraten und ihre eigenen Rechte zu wahren. Die Landstände setzten sich aus Vertretern des Adels und der Städte zusammen.
Regiert wurden die beiden Bereiche von den Fürstlichen Räten in Düsseldorf  und Kleve. Diese „Bleibenden Räte" bestanden aus Kanzler, Marschall, Landhofmeister und Landrentmeister.3 Dazu kamen weitere Räte aus dem Adel, die aber nicht ständig anwesend waren so dass ihr Einfluß begrenzt war. Neben diesen „Bleibenden Räten“ bestand insbesondere auf Reisen des Herzogs ein „Folgender Rat“, der durch seine Nähe zum Herzog großen Einfluß besaß.

Herzog Wilhelm V.
Mit Herzog Wilhelm V. (1516-1592), genannt Wilhelm der Reiche, regierte in der Grafschaft Mark seit Anfang Februar 1539. Er war der Fürst mit dem größten Herrschaftsgebiet im Nordwesten des Reiches. Er war gleichzeitig Herzog von Jülich, Herzog von Berg, Herzog von Kleve, Graf von der Mark und Graf von Ravensberg. 1538 versuchte er, auch die Nachfolge im Herzogtum Geldern zu ergreifen. Um das Herzogtum Geldern gegen die Ansprüche des habsburgischen Kaisers zu behalten, verheiratete er 1541 seine Schwester mit dem englischen König, Heinrich VIII., und heiratete selbst eine Nichte des französischen Königs. Doch seine machtpolitischen Ambitionen scheiterten, so dass er 1543, nach dem Aufmarsch kaiserlicher Truppen, im Vertrag von Venlo auf das Herzogtum Geldern verzichten mußte.4
Danach hielt er sich aus den Kriegen heraus, die zwischen den evangelischen Reichsfürsten und dem Kaiser geführt wurden. Nach dem Aufstand in den nördlichen Niederlanden gegen die Herrschaft der Spanier 1566 waren seine Territorien ständig von spanischen Truppen bedroht.5 In den 1580er Jahren streiften spanische Truppen durch seine Territorien und überfielen einige Ortschaften. Trotz seines Machtverlusts in dieser Zeit läßt sich sagen, dass Herzog Wilhelm V. eine vorbildliche Herrschaftspolitik betrieben hat, die innerhalb seiner Territorien den Wohlstand seiner Untertanen gemehrt hat.

Die Kirchenpolitik des Herzogs
Als Herzog Wilhelm V. 1539 die Herrschaft übernahm, galt im Wesentlichen die Kirchenordnung von 1532, die sein Vater Johann III. beschlossen hatte. Ab 1533 fanden regelmäßig landesherrliche Visitationen statt.6 Doch andererseits ließ er Reformen zu, während derer auch Reformatoren mit Sympathien für Luther oder Calvin in seinen Territorien aktiv werden konnten. Herzog Wilhelm V. war selbst durch den Humanisten Konrad von Heresbach, einem Freund des Erasmus von Rotterdam, erzogen worden. So betrieb er eine reformorientierte Kirchenpolitik. Auch ließ er seine Töchter in diesem Geist erziehen.7
Doch suchte er immer wieder nach Kompromissen, so etwa als er von 1551 bis 1555 die Freistellung des Laienkelches beim Papst erbat.8 Andererseits verweigerte er 1549 dem Erzbischof von Köln, die kirchliche Visitation in seinen Territorien durchzuführen.9 So etablierte er eine landesherrliche Kirchenpolitik, die eine Art von „reformkatholischem Mittelweg“10 darstellte. Währenddessen breitete sich die Reformation in den Städten und Freiheiten seiner Terrritorien aus. Dies ließ er zu, solange er seine Herrschaft über diese Gemeinden nicht in Gefahr sah. So zwang er etwa 1548 die Stadt Soest, die evangelischen Prediger aus der Stadt zu verweisen, als er in den Städten seine Autorität im Schwinden sah.11

Tendenzen der Rekatholisierung der jülich-klevischen Territorien – Herrschaft unter Johann Wilhelm
Nach dem Aufstand in den spanischen Niederlanden verschärfte sich das konfessionspolitische Klima. So wurden die Jesuiten in die Territorien des Herzogs eingelassen, um eine Rekatholisierung der Gemeinden zu bewirken.12 Im Zuge dieser Politik wurden reformorientierte Räte entlassen. Der zweite Sohn Herzog Wilhelms, Johann Wilhelm, sollte Bischof von Münster werden, so daß er ab 1573 in Xanten im katholischen Sinne erzogen wurde. Als der ursprünglich vorgesehene Erbe des Herzogsamtes 1575 starb rückte dann Johann Wilhelm zum Erben der jülich-klevischen Länder auf.
Nachdem er 1585 Jacobe von Baden geheiratet hatte, wurde Johann Wilhelm politisch aktiv, indem er mit Hilfe „ultrakatholischer Räte“13 wie Werner von Gymnich die Linie der spanischen Politik verfolgte. Nach dem Tod Herzog Wilhelms im Januar 1592 wurde er sein Nachfolger. Zu seinem Erbe gehörte auch die Grafschaft Mark.

Die Herzöge im Fall Lackum
Als der Fall Lackum an das Reichskammergericht gelangt war, reichte die landesherrliche Administration im Namen des Fürsten Johann Wilhelm eine Gegenklage ein. Wie stark er selbst in eigener Person in Einzelheiten von den Ereignissen Kenntnis genommen hatte, bleibt jedoch, ebenso wie zuvor bei seinem Vater, Herzog Wilhelm, offen. Allerdings kann man sagen, daß der Fall Lackum allgemein viel Staub aufgewirbelt hatte. Im November 1591, als Georg und Anton Lackum noch gelebt hatten, hatte Agnes Lackum zudem ein Bittschreiben verfaßt und an eine Tochter Herzog Wilhelms persönlich addressiert. In diesem Schreiben hatte Agnes Lackum erklärt, daß die Geständnisse ihres Mannes und ihres Sohnes nur durch die unter der Folter erzeugten Schmerzen zustandegekommen waren und nicht der Wahrheit entsprachen.


Quellenauszüge

Die kleve-märkischen Räte

Nuhn aber ist in geschicht wahr, daß [...] keine persohnen der beclagten in specie benannt werden [...]. verner in geschicht wahr, daß vor und nach die Herren Räthe todes verfallen [...] und inn der statt andere aufgenommen worden, die welche ie vonn rechten wegenn mit dieser sachenn nichts zu schafffen haben. [...] Alls woll sich ie umb so viel mehr zue Recht gebührenn, daß die personen der beclagtten mehr specifice ausgetruckt werden.“ (LAV NRW W, RKG 24, Bd. 1, fol. 55v-56r).

Wer waren die klevischen Räte? Ihr Anwalt trieb ein Versteckspiel mit den Namen und forderte, daß die Kläger sie benannten – wohl wissend, daß sie in sämtlichen Schreiben immer nur als Gremium auftraten. Als der Prozeß vor das Reichskammergericht gelangt war, waren einige jener kleve-märkischen Räte, die mit dem Fall Lackum befaßt gewesen waren, angeblich bereits gestorben. Der Name des Kanzlers wurde 1602 allerdings genannt: Es handelte sich um Dr. jur. Heinrich von Weeze. Sämtliche anderen Namen bleiben im Dunkeln. Wir wissen darüber hinaus lediglich, daß es sich bei dem Fürstlichen Rat um ein etwa siebenköpfiges Gremium gehandelt haben muß, der nicht nur in Kleve, sondern zeitweise auch in Düsseldorf und Emmerich tagte.

1Siehe hierzu: Dösseler, Emil: Die Wirtschaft in der Grafschaft Mark unter Brandenburg-Preußen. 1609-1806, Altena 1961, insbes. S. 22ff.

2Schoppmeyer, Heinrich: Was war die Grafschaft Mark?, in: Märkisches Jahrbuch für Geschichte, 101 (2001), S. 26.

3Klosterhuis, Jürgen: Fürsten, Räte, Untertanen, in: Der Märker. Landeskundliche Zeitschrift für den Bereich der ehemaligen Grafschaft Mark und den Märkischen Kreis, 35. Jahrgang 1986. S. 79.

4Olschewsky, Ursula: Die Reformation in Westfalen. Konfessionsbildung und Konfessionalisierung am Beispiel ausgewählter Territorien, in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark, 98 (1998) (im Folgenden zitiert als: Olschewsky, 1998), S. 141.

5Rothert, Hermann: Westfälische Geschichte. Zweiter Band. Das Zeitalter der Glaubenskämpfe, Gütersloh 1950, S. 8.

6Siehe hierzu: Redlich, Otto R. (Hg.): Jülich-bergische Kirchenpolitik am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit. Bd. 1: Urkunden und Akten 1400–1553, Bonn 1907.

7Smolinsky, Heribert: Jülich-Kleve-Berg, in: Schindling, Anton / Ziegler, Walter (Hg): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Der Nordwesten 3, Münster 1995 (im Folgenden zitiert als: Smolinsky, 1995), S. 94.

8Smolinsky, 1995, S. 97.

9Olschewsky, 1998, S. 143. und Smolinsky, 1995, S. 97.

10Olschewsky, 1998, S. 141. und Smolinsky, 1995, S. 93.

11Kohl, Wilhelm: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe (1517-1618), in: Kohl, Wilhelm (Hg): Westfälische Geschichte Band 1, Düsseldorf 1983, S. 478.

12Smolinsky, 1995, S. 101.

13Smolinsky, 1995, S. 100.

 

Layout by Dominik Greifenberg