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Epilog: Schuld oder Unschuld? Nachuntersuchungen in Hörde
Ralf-Peter Fuchs

Bereits bevor das Reichskammergericht eingeschaltet wurde, war es den hinterbliebenen Verwandten durch Supplikationen beim Landesherrn gelungen, Nachuntersuchungen des Mordfalles einzuleiten. Am 27. Februar 1592 hatten die kleve-märkischen Räte diese Bittschriften dem neuen Landesherrn, Herzog Johann Wilhelm, zur persönlichen Entscheidung übergeben.1 Möglicherweise hängt es mit dem Herrscherwechsel zusammen, daß sich der Drost von Wetter nun noch einmal gehörig für sein Vorgehen rechtfertigen mußte.
Am 5. Juli 1572 wurde der Bitte des neuen Oberhauptes der Familie Lackum, Dietrich Lackum, nachgegeben, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Zum Kommissar wurde Matthias Becker, Richter von Schwerte, ernannt.2 Bereits zuvor war Jasper von der Ruhr, ebenfalls auf Wunsch der Familie Lackum, in der Burg Hörde gefangen gesetzt worden, wo der Drost des Amtes Hörde erste Befragungen durchführte. Während dieser Zeit verschlechterte sich das Verhältnis der Familie zu vielen Nachbarn. Bürgermeister und sämtliche Bürger der Freiheit Wetter reichten am 25. Juli 1592 eine Fürbitte für Jasper von der Ruhr ein und baten um seine Freilassung.3 Man wollte einen Schlußstrich unter die Angelegenheit ziehen.
Am 21. Januar 1593 erging die Anordnung aus Kleve, Jasper von der Ruhr erst „gütlich“, dann „peinlich“ zu befragen.4 Die Folter wurde durch den Scharfrichter von Hamm durchgeführt und hatte ein erstes Geständnis des Jasper von der Ruhr zur Folge, Johann von der Ruhr mit einem Messer erstochen zu haben. Als man den Rentmeister des Amtes Hörde zur Bezeugung des Geständnisses in die Burg holte, widerrief er jedoch dieses Geständnis.
Weitere Torturen „erst mit ruetten, darnach mitt einn anderenn instrumento, so auff die schienen geschruvet“,5 folgten. Jasper von der Ruhr wurde dadurch zu weiteren Geständnissen gebracht. Er gab an, beim Mord an Johann von der Ruhr zugegen gewesen zu sein. Georg und Anton Lackum hätten ihn gemeinschaftlich umgebracht und er selbst habe bei der Beseitigung von Spuren geholfen.6 Nach weiteren Befragungen und Folterungen gestand Jasper von der Ruhr am 14. April 1593 schließlich sogar, den tödlichen Stich in den Hals mit eigener Hand ausgeführt zu haben.7
Dies veranlaßte die Regierung in Kleve zum Beschluss, einen Peinlichen Gerichtstag anzuberaumen, Jasper von der Ruhr sein Geständnis vorzulesen, ihn im Fall einer Bestätigung zu enthaupten und seinen Leichnam anschließend auf das Rad zu legen.8 Auf diesem Peinlichen Gerichtstag, der am 14. Juni 1593 stattfand, widerrief Jasper von der Ruhr jedoch erneut: Er sei nicht dabei gewesen, als der Mord geschehen sei und daher völlig unschuldig.9 Bei den folgenden weiteren „gütlichen“ und „peinlichen“ Befragungen blieb er im wesentlichen bei dieser Version. Obwohl Dietrich Lackum mehrere Male eine härtere Tortur des Gefangenen forderte, entschlossen sich die kleve-märkischen Räte schließlich endgültig am 5. Oktober 1593, Jasper von der Ruhr freizulassen.10
Die Akte Lackum vermittelt damit im Hinblick auf den Tathergang vor allem eines: daß er im wesentlichen ungeklärt blieb. Ein Lesen der Quellen „gegen den Strich“11 macht auf der anderen Seite gerade deutlich, wie bewußt sich die Zeitgenossen der bescheidenen Möglichkeiten einer Aufklärung waren. Nicht einmal über die Tatzeit konnte man sich Gewißheit verschaffen. Die Folter galt als bedenkliche Untersuchungsmethode, da sie jedes erwünschte Geständnis produzieren konnte. Auf der anderen Seite berief man sich ohne zu Zögern auf sie, wenn die eigene Argumentation dadurch gestützt wurde. Dies galt auch für die Bahrprobe. Bürgermeister, Ratsfreunde und sämtliche Bürger zu Wetter wiesen in ihrem Bittschreiben für Jasper von der Ruhr darauf hin, daß die Wunde des Johann an der Ruhr geblutet habe, als Georg und Anton Lackum sich in die Nähe des Leichnams begeben hätten.12 Die Versuche der Familie Lackum, den Nachweis der Unschuld ihrer Verwandten über das Wiederaufrollen des Falles zu erreichen, scheiterten. Die Einschaltung des Reichskammergerichts brachte sicherlich einen Achtungsgewinn mit sich. Die zentrale Forderung der Familie, das „ehrliche“ Begräbnis von Georg Lackum, wurde hingegen offensichtlich nicht erfüllt. Am 6. Juni 1604 richtete die Familie Lackum – Agnes Lackum war inzwischen gestorben – eine „supplicatio pro mandato de tollendo et sepeliendo innocenti cadavere“ an das Reichskammergericht: Sie bat darum, dem Herzog von Kleve zu befehlen, den nunmehr bereits über zwölf Jahre am Rad hängenden Körper des Georg Lackum von der Richtstätte entfernen zu lassen, damit die Kinder „ihren geliebten unschuldigen vatter nit lenger alda zu ewiger smach und schande, auch frolocken irer mißgunsigen fur menniglichs augen liggen sehen“.13 Eine Schrift, die in Speyer am 9. Juli 1604 eingereicht wurde, zeigt, daß man in Kleve nicht daran dachte, das Reichskammergericht als Obergericht in dieser Strafsache anzuerkennen und darauf beharrte, den Rechten gemäß verfahren zu haben.14 Mit diesen Argumenten schließt die Akte Lackum.

1 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 162r.

2 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 294r.

3 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 298ff.

4 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 434v.

5 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 441r.

6 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 443v.

7 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 473r.

8 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 474ff.

9 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 490ff.

10 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 580ff.

11 Hierzu Ruth-E. Mohrmann: Zwischen den Zeilen und gegen den Strich. Alltagskultur im Spiegel archivalischer Quellen, in: Der Archivar 44 (1991), S. 233-245.

12 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 481r.

13 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 1, fol. 202.

14 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 1, fol. 208ff (Duplikschrift).

 

Layout by Dominik Greifenberg