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Das späte 16. Jahrhundert – Eine Zeit der Krise und der Gewalt?

von Christoph Salewsky

Die Zeit, in der sich der Fall Lackum ereignete, das späte 16. Jahrhundert, lässt sich in mehrerer Hinsicht als eine Krisenzeit bezeichnen: Diese war geprägt durch konfessionelle Konflikte im Reich und in Europa. Einen weiteren Indikator für soziale Krisen stellen die Hexenverfolgungen dar.

Konfessionelle Konflikte
Der konfessionelle Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken fand in Mitteleuropa seinen Ausdruck unter anderem im Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Niederlande gegen Spanien. Dieser Krieg fand zum Teil auf dem Gebiet des Reiches statt. Dieser Krieg verknüpfte sich mit dem "Kölnischen Krieg", der ausbrach, nachdem der Kurfürst von Köln, Gebhard Truchsess von Waldburg, zum Protestantismus übergetreten war. Auch der Ruhr-Lippe-Raum und die Grafschaft Mark wurden in diese Konflikte einbezogen. Am Hofe von Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve versuchte eine spanisch-katholische Partei, Einfluss auf die Politik zu nehmen. 1586 streiften spanische Truppen in der Grafschaft Mark umher und verbrannten adelige Häuser und Dörfer.
Auch nach der Jahrhundertwende sollten sich konfessionelle Konflikte am Niederrhein und an der Ruhr ausweiten. Nach dem Tode des jülich-bergischen Herzogs Johann Wilhelm, der keine Nachkommen hinterließ, im Jahre 1609 besetzten der Kurfürst von Brandenburg und der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg das jülich-bergische Gebiet. Das Motiv für diese Besetzung war, daß das Land sollte nicht wieder an den Kaiser zurückfallen sollte. Deshalb schlossen sich der Kurfürst und der Pfalzgraf zusammen und besiegelten die gemeinsame Regierung des Herzogtums 1609 im Dortmunder Vertrag.
Im Jahr 1613 wechselten dann beide Fürsten ihre Konfessionen: Der Pfalzgraf trat der katholischen Kirche bei, um eine Heirat ausführen zu können und somit die Spanier auf seine Seite zu ziehen. Der Kurfürst von Brandenburg konvertierte hingegen zum Calvinismus, um mehr Unterstützung aus den Niederlanden zu erlangen. Nachdem die Konflikte immer größeres Ausmaß angenommen hatten, wurde das Herzogtum Jülich-Berg am 12. November 1614 im Xantener Vertrag aufgeteilt. Der Pfalzgraf erhielt Jülich und Berg, der Kürfürst von Brandenburg hingegen Kleve, Mark und Ravensburg. 1 Ein paar Jahre später sollte der Streit zwischen Katholiken und Protestanten im Dreißigjährigen Krieg einen Höhepunkt finden.

Kleine Eiszeit und Hexenverfolgung
Auch die Hexenverfolgungen in Europa waren Ausdruck einer Krise. Wolfgang Behringer hat diese These auf ein klimageschichtliches Phänomen gestützt, welches in der Literatur „die kleine Eiszeit“ genannt wird.2 Als „kleine Eiszeit“ bezeichnet Behringer die Periode vom späten 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Jahresdurchschnittstemperatur sank um mehrere Grad Celsius und Regenfälle vermehrten sich besonders im Sommer.3 Diese Forschungsansätze sind nicht neu. Im Prinzip besteht das Wissen von dieser Temperaturveränderung schon seit den 1930er Jahren.4 Behringer hat nun dieses Ereignis in direkten Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen gebracht. So ist beispielsweise überliefert, dass der Bodensee mehrere Jahre hintereinander komplett zugefroren war. Auch der Rhein bei Köln soll gänzlich zugefroren gewesen sein.
Durch die kalten Winter und die verregneten Sommer kam es zu Missernten. Bauern konnten kein Heu für die Zuchttiere zur Verfügung stellen und etliche Tiere verhungerten. Durch fortlaufenden Ausfall anderer, für den menschlichen Verzehr bestimmter Anbaugüter kam es zu Hungersnöten.5 Schließlich breiteten sich Krankheiten und Epidemien bei den Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem rasant aus.6 Diese Misere wurde als Strafe Gottes angesehen. Folglich suchte man Schuldige, um sie einer gerechten Strafe zu unterwerfen und Gottes Wohlwollen wieder zu erlangen. Man fand sie in den Hexen- und Zauberinnen, die die klimatischen Veränderungen durch magische Praktiken herbeigeführt haben sollten (Wettermacherei).7 Im späten 16. Jahrhundert stieg die Zahl der Hexenprozesse schnell an. Viele Menschen wurden durch Folter zu Geständnissen gezwungen und letztendlich hingerichtet.

Der Fall Lackum – Phänomen einer Krisenzeit?
Auch im Hinblick auf den Fall Lackum wird man festhalten dürfen, daß die Verhängung einer strengen Strafe seitens der fürstlichen Räte mit der Vorstellung verbunden war, Gottes Zorn zu besänftigen. Darüber hinaus wurde, ähnlich wie in vielen Hexereiverfahren, die Folter angewandt und damit zum entscheidenden Verfahrensmoment. Andererseits gibt die Akte nicht die geringsten Hinweise auf die zu dieser Zeit in der Nachbarschaft von Wetter stattfindenden Hexenprozesse.
Daß die Konfessionskonflikte, die sich in dieser Zeit allgemein verstärkten, auf den Fall Lackum eingewirkt hatten, behauptete die Witwe Agnes Lackum in einem ihrer Beschwerdeschreiben, die sie an die kleve-märkischen Räte geschickt hatte: Sie äußerte darin den Verdacht, daß die Familie Lackum wegen ihrer katholischen Religion benachteiligt worden sei.8 Andererseits deuten viele Bemerkungen in der Akte Lackum eher darauf hin, daß die Familie im Ort Wetter integriert war. Noch kurz vor der Hinrichtung hatten sich Bürgermeister und Rat in einem Bittschreiben (Supplikation) an die Räte für die beiden Angeklagten eingesetzt und dabei den priesterlichen Stand Anton Lackums als Merkmal für dessen Ehre hervorgehoben. In der protestantisch dominierten Freiheit Wetter scheinen Konfessionsunterschiede somit um 1590 keineswegs zwangsläufig der Anlaß für Haß und Feindschaft gewesen zu sein.

1 Schulze, Hagen: Kleine deutsche Geschichte, München 2003, S.190 f.

2 Behringer, Wolfgang: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München 2008, 119 f.

3 Behringer, 2008, S. 123 ff.

4 Behringer, 2008, S. 119 ff.

5 Behringer, 2008, S. 129 ff.

6 Behringer, 2008, S. 153 ff.

7 Behringer, 2008, S. 165 f.

8 LAV NRW W RKG L 24, Bd. 2, fol. 135.

 

Layout by Dominik Greifenberg